McSelberdenken – vom Gesund-essen-können

Zugegeben, Essen ist kompliziert geworden. Mit dem Angebot an Lebensmitteln wurden auch die Ernährungsweisen vielfältiger. Da ist es nur logisch, dass die Menschen sich damit auseinandersetzen. Und weil es einen naheliegenden Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit gibt, ist es erst recht logisch, sich auch unter gesundheitlichen Aspekten damit auseinanderzusetzen.

Veganismus, Bio, der regionale/saisonale Einkauf am Wochenmarkt, all das gilt im Mainstream zur Zeit als gut und richtig. Und trotzdem, so stellte man kürzlich in der Welt fest, verbreitet sich das Übergewicht immer weiter, gerade unter Kindern und Jugendlichen. (Ich kann mir grad auch nicht verkneifen, zu fragen, ob es doch nicht gereicht hat, sich über den Trend zur gesunden Ernährung lustig zu machen.) Und da man Übergewicht sehr schnell mit Krankheiten asoziiert, haben wir als Gesellschaft natürlich allen Grund, wenigstens zu versuchen, dies zu verhindern.

Sehr beliebt ist dieser Tage die Forderung nach einem eigenen Schulfach. Aktionswochen á la „Gesundes Pausenbrot“ gibt es schon seit einigen Jahren. Es gibt natürlich auch andere Vorschläge und Ansätze wie z.B. die Lebensmittelampel oder den Veggie-Day in Kantinen. Bei solchen Vorschlägen kommt es immer sehr schnell zum Aufschrei, der Mensch sei in diesem demokratischen Staate doch ein freies, selbstbestimmtes Wesen.

Dieser Einwand hat natürlich seine Berechtigung. Das Recht auf freie Entfaltung ist im Grundgesetz verbrieft und damit auch das Recht auf ungesundes Essverhalten. Und damit gehe ich auch vollkommen d´accord. Allerdings frage ich mich: Wie frei und eigenverantwortlich können Entscheidungen getroffen werden, wenn die Informationen und Möglichkeiten in der Gesellschaft ungleich verteilt sind?

Es ist längst bekannte Tatsache, dass Gesundheit sehr stark von Bildung und Einkommen abhängt (worauf auch der verlinkte Artikel eingeht). Doch anstatt hier anzusetzen, verweist der Autor auf „selber denken“, kurz: der freie Mensch soll mit seinen Entscheidungen alleingelassen werden.

Du bist mit einem ungesunden Essverhalten aufgewachsen? Dein Problem!
Du kannst dir keine hochwertigen Lebensmittel leisten? Dein Problem!
Du musst aus Zeitmangel auf Fertiggerichte zurückgreifen? Dein Problem!
Dir hat nie jemand beigebracht Werbebotschaften zu hinterfragen? Dein Problem!

Es ist natürlich eine Gratwanderung. Wieviel kann man informieren, ohne zu sehr zu beeinflussen? Wie sehr greift man in die Entscheidungsfreiheit, wenn man Anreize schafft? Und wieviel Paternalismus steckt überhaupt schon in dem Gedanken, anderen zu erklären, was „die“ „richtige“ Ernährung ist? Wobei es „die“ richtige Ernährung bei sieben Milliarden Menschen mit unterschiedlichen Körpern und unterschiedlichen Stoffwechseln natürlich auch nicht geben kann.

Wollen wir aber die Frage nach der gesunden Lebensführung (die hört ja nicht beim Essen auf) zur alleinigen Privatsache machen, wenn viele Menschen gar nicht erst den Zugang zu einer gesünderen Lebensweise oder zum Wissen über gesündere Lebensweisen haben? Kann es mit der Aufforderung zum „Selberdenken“ getan sein, wenn Bildung und damit auch der Umgang mit Information ungleich verteilt ist?

Außerdem stellt sich mir noch eine ganz andere Frage: Wo beginnt eigentlich dieses „Übergewicht“? Ab wann ist Übergewicht tatsächlich ungesund und schädlich? Leben Übergewichtige überhaupt ungesund? Die Fragen lassen sich zur Zeit nicht allgemeingültig beantworten. In unserer Zeit herrscht das Ideal vom schlanken und sportlichen Menschen – inwieweit spielt dieses Ideal in unsere Wahrnehmung von „Übergewicht“ mit hinein? Mittlerweile setzen sich Frauen schon während ihrer Schwangerschaft mit Diäten auseinander, um nach der Geburt möglichst schnell die Schwangerschaftspfunde wieder loszuwerden – wie gesund kann das sein? Und wie gesund kann die öffentliche Wahrnehmung von „Übergewicht“ sein? Wie gesund kann es für übergewichtige Menschen sein, wenn sie immer und immer wieder auf ihr Übergewicht und etwaige Gesundheitsrisiken hingewiesen werden?

Machen wir uns nichts vor, es wird für dieses Dilemma nicht die eine, richtige Lösung geben. Wir werden uns auch hier wieder darüber im Klaren sein müssen, was wir wollen und wo wir in ein paar Jahren stehen sollen. Sowohl was die Freiheiten des Einzelnen angeht, als auch Verantwortung als Gemeinschaft füreinander.

Einsame alte Weihnacht

Das Internet ist mal wieder zu Tränen gerührt. Grund ist der Weihnachtsclip den EDEKA letztes Wochenende veröffentlicht hat und über den nun jeder spricht. Dabei auch sehr kontrovers, täuscht der arme alte Mann doch seinen Tod vor, damit seine Kinder #heimkommen. Aber das soll hier nicht Thema sein.

 Nun ja, es ist Weihnachtszeit und da sind wir alle emotional sehr empfänglich für Botschaften über Liebe, Freundschaft und Familie. Das weiß auch die britische Ladenkette John Lewis, die bereits seit einigen Jahren sehr bewegende Weihnachtsclips veröffentlicht. Dieses Jahr übrigens auch mit einer Weihnachtsgeschichte über einen einsamen alten Menschen #ManOnTheMoon

 Das Thema dieses Weihnachten ist also „Einsamkeit im Alter“. Finde ich gut, denn dieses Thema findet weitaus weniger Beachtung, als es sollte. Und es ist kein privates Schicksal alter Menschen und ihrer meist verstreuten bzw. nicht mehr vorhandenen Familien. Denn dieses Schicksal werden voraussichtlich immer mehr Menschen teilen. Stichwort: demografische Entwicklung. Aber auch: Mobilisierung und Globalisierung unserer Arbeitswelt.

Die Menschen werden älter und ihre Kinder verstreuen sich in alle Winde wenn sie mal aus dem Haus sind. Und sie müssen sich verstreuen, denn der Arbeitsmarkt fordert Flexibilität. Deutschlandweit. Weltweit! Und nicht nur örtlich. Schließlich sollen auch während der Feiertage etliche Dienstleistungen verfügbar sein. Das funktioniert nur, wenn Leute an Feiertagen arbeiten oder wenigstens Bereitschaft haben. Da wird es schwer, ein Familien- und Sozialleben aufrecht zu erhalten, zumindest so wie wir es kennen.

Natürlich spielen beide Videos auch mit unseren Gefühlen. Sehr viele schrieben beim Teilen, dass sie sogar weinen mussten. Und wenn die Geschichten einige Menschen wieder daran erinnert, mal wieder etwas Zeit mit ihren Eltern und Großeltern zu verbringen, dann ist das natürlich schön. Aber dennoch müssen wir uns mehr mit dem großen Ganzen auseinandersetzen.  Wie gestalten wir unser Familienleben in der jetzigen Arbeitswelt? Wie gestalten wir die Arbeitswelt in Zeiten von zerstreuten Familien und Freundschaften? Wie bewahren wir alte Menschen vor der Einsamkeit? Wie unterstützen wir sie in ihrem Alltag?

Diese Fragen können wir nicht privat für uns lösen, weil sie jeden von uns betrifft. Früher oder später.