In meiner Timeline war das große Thema letzte Woche Meinungsfreiheit und Debattenkultur. Und so landete der Artikel Debattenkultur: Ein Volk der Beleidigten irgendwann bei mir. Dieser beklagt, dass sich immer mehr Menschen viel zu schnell beleidigt fühlen, da es ja jede Woche irgendeinen anderen Shitstorm gibt. Zum Beispiel gegen einen Werbespot mit der Kernaussage „Untertitel zerstören Filme. Lernt Englisch!“ Aktivist*innen für Inklusion und Barrierefreiheit kritisierten diesen, weil es eben Menschen gibt, die Untertitel brauchen, um sich überhaupt einen Film ansehen zu können. Ein weiteres Beispiel ist ein anderer kritisierter Werbespot, in dem eine Frau (ganz humoristisch) von ihrem Partner geschlagen wurde.
Und getreu dem Kinski-Zitat: „Wer mich beleidigt, bestimm immer noch ich!“, sollen doch bitte alle einfach: weniger beleidigt sein.
Aber was, wenn die „Daueraufreger“ gar nicht beleidigt sind und gar keine „verletzten Gefühle“ haben? Ist es denn wirklich so unwahrscheinlich, dass Aussagen und Darstellungen kritisiert werden, weil man sie tatsächlich problematisch findet, ohne persönlich getroffen oder überhaupt betroffen zu sein?
Wenn man weiß, dass Untertitel etliche Menschen an Film und Fernsehen teilhaben lassen, ist die Aussage „Untertitel zerstören Filme“ sehr wohl kritikwürdig, dazu muss man selbst nicht betroffen oder gekränkt sein. Genauso wie ich die witzig gemeinte Darstellung von häuslicher Gewalt problematisch finde, weil häusliche Gewalt einfach ein sehr ernstes Problem ist. Und um das zu sehen, muss ich weder Frau, noch gekränkt, noch selbst von häuslicher Gewalt betroffen sein.
Natürlich muss nicht jede Kritik und auch nicht jede Art, wie sie geübt wird, gerechtfertigt sein. Das weiß man aber erst, wenn man sich ernsthaft mit der Kritik auseinandersetzt und nicht als Befindlichkeiten abbügelt und zum persönlichen Problem der Kritiker*innen erklärt. Gerade letzteres ist doch überhaupt kritisch für die Debattenkultur, weil inhaltliche Debatten so gar nicht erst zustande kommen. (Abgesehen davon: „Wer mich beleidigt, bestimm immer noch ich!“)
Dabei wären gerade diese ja wichtig. Das Internet ermöglicht jedem, und damit auch Menschen aus sog. „Randgruppen“ sichtbar zu werden und sich an Diskursen zu beteiligen. Schlimmer noch: einen respektvollen und inklusiven Umgang einfordern. Was zwangsläufig zu Aushandlungsprozessen darüber führt, wie wir miteinander umgehen und wie wir übereinander sprechen. Es mag ja nervig sein, wenn ich gewohnte Ausdrucksweisen hinterfragen und überdenken muss, aber: Wer bin ich, dass ich anderen vorschreibe, was sie „auszuhalten“ haben und was nicht?
„Wer mich beleidigt, bestimm immer noch ich!“
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