Der keine Ring. Oder: Der Antrag #kwixileaks

Lassen Sie mich durch, ich will heiraten

Im Grunde war unsere Verlobung sehr intim und sehr romantisch; mit einer wunderbaren Überraschung die er in den Wochen davor vorbereitet hatte. Damit war sie für sich und für uns perfekt. Eigentlich.

Denn wenn ich erzählte, dass ich nun verlobt sei, wurde ich sehr schnell nach Details gefragt. Aus meiner Sicht gab es zu meiner/unserer Verlobung nicht viel zu erzählen, aber irgendwie erwartete man eine kleine hübsche Geschichte. ABER mit allem was dazu gehört. Auf die obligatorische Frage nach dem Verlobungsring antwortete ich meist mit einem frechen Grinsen: „Es gab keinen Ring. Wir hatten Pizza!“ Denn:

There is no aspect, no facet, no moment of life that can’t be improved with pizza.
(Daria Morgendorrfer)

Allerdings machte mir diese Standardantwort schon nach wenigen Tagen keinen Spaß mehr. Vor allem, als ich feststellte, dass ich mir für die Frage, ob er auf die Knie gegangen sei, gar keine coole Standardantwort zurechtgelegt hatte.

Danach bekam ich beim Thema Heiratsanträge immer wieder das Gefühl, als würde meiner/unserer Verlobung etwas fehlen. Aber war der Antrag unvollständig, weil er nicht vor mir kniete, sondern mich im Arm hatte? War der Antrag weniger romantisch, weil er mir eine sehr gelungene Überraschung bereitete, aber keinen Diamantring? Vor meiner Verlobung hielt ich Verlobungsringe für überflüssig und nun fragte ich mich immer wieder, ob ich nicht doch einen Verlobungsring hätte haben wollen. Und bekam noch zusätzlich ein schlechtes Gewissen, weil ich an den Mann, den ich heiraten wollte, keine derart oberflächlichen Erwartungen stellen wollte.

Was bedeuten uns Rituale wie Verlobungsringe und der Kniefall, dass sie noch immer erwartet werden? Und was sagen sie über uns aus? Warum wird nach den Details einer Verlobung gefragt, wenn dann doch irgendwie die gleichen Geschichten erwartet werden? Ist das nur unserer Bedürfnis nach Tradition und Struktur oder ist das der Einfluss unserer Popkultur, die die ewig gleichen Heiratsanträge immer wieder neu inszeniert?

Und in Puncto Erwartungen rede ich noch nicht einmal davon, dass (in Heterobeziehungen) die Frau den Antrag machen könnte, oder dass sich ein Paar gemeinsam und gänzlich ohne Antrag zu einer Heirat entscheidet. Wie zum Beispiel eine Bekannte, die nach jahrelanger Beziehung und gemeinsamer Elternschaft ihrem Partner, eher pragmatisch als romantisch, mitteilte, dass sie ihn nun gerne heiraten würde. „Ich find cool, dass du das so geradlinig gemacht hast. Aber ich glaub, ich hätte doch lieber nen richtigen Antrag“, lauteten die Reaktionen häufig. Und mir ging es dabei sehr ähnlich. Ich feiere es innerlich, wenn mit dieser Tradition gebrochen wird, ich kann mir aber nicht mal jetzt vorstellen, dass ich meinem Mann einen Antrag gemacht hätte. Und ich kann es noch nicht mal mir selbst erklären. Wenn es um mich selbst geht, dann fühlt es sich nicht „natürlich“ an, und dabei geht es doch um etwas ganz Natürliches: klar auszusprechen, dass man etwas will. Aber fühlt es sich nur deswegen unnatürlich an, weil ich es nicht anders kenne? Oder könnte dies sogar exemplarisch dafür stehen, dass Frauen auch in anderen Bereichen nachgesagt wird, dass sie nicht klar machen, was sie wollen? (Gehaltsverhandlungen, zum Beispiel)

Allerdings hätte ich mir umso eher vorstellen können, diese Entscheidung gemeinsam mit meinem Partner zu treffen. Ohne Ring, ohne Kniefall, ohne Antrag – vielleicht mit Handschlag? Naja, vielleicht mit einer Umarmung. Und Knutschen.

Und Sex. [Anmerkung des Ehemannes]

Nächste Folge: Das Brautkleid – Oder: Die Inszenierung des Prinzessinnenmoments

Das Pflegestudium-Bullshit-Bingo!

Veränderungen sind immer eine schwierige Angelegenheit. Und noch immer steht man in Deutschland der Akademisierung der beruflichen Pflege skeptisch gegenüber. Und je weniger man mit diesem Tätigkeitsfeld zu tun hat, umso besser weiß man, wie sinnlos (wahlweise auch schädlich) ein Pflegestudium für die professionelle Pflege ist.

Aus den beliebtesten Argumenten habe ich nun ein Bullshit-Bingo gebastelt. Die Regeln: In Diskussionen, aber auch Kommentarspalten zum Thema „Pflegestudium“ oder „Akademisierung der Pflege“, einfach die entsprechenden Argumente ankreuzen. Sobald eine Reihe (vertikal, horizontal oder diagonal) vollständig ist, einfach aufstehen und laut „BINGO!“ rufen.

Ich stelle es Kolleg*innen, Kommiliton*innen, Berufspolitiker*innen und allen Interessierten zum Spielen, Verbreiten, Verbessern und Erweitern zur Verfügung. (Wobei ich es cool fände, wenn ihr mir neue Versionen zuschicken würdet). Ich wünsche euch sehr viel Spaß!

Pflegestudium-Bullshit-Bingo

Kein (richtiges) Abitur

Um es von vornherein klarzustellen: Wer mit falschen Angaben über seine Person oder seinen Lebensweg andere täuscht und sich damit Vorteile welcher Art auch immer verschafft, hat die entsprechenden Konsequenzen dafür zu tragen.

Was mich an der Berichterstattung über den Fall Petra Hinz allerdings stört, ist die Aussage, sie hätte kein Abitur. Sie besitzt die Fachhochschulreife, auch bekannt als Fachabitur. Selbstverständlich kann man nun dagegenhalten, dass mit Abitur nun mal das Abitur, also die allgemeine Hochschulreife, gemeint ist. Allerdings impliziert die Aussage „kein Abitur“ meiner Meinung nach: „gar keine“ Hochschulreife.

Warum ich es hier so genau nehme? Weil solche Aussagen elitär sind und suggerieren, das allgemeine Abitur sei die einzige Hochschulzugangsberechtigung, die zählt. Weil sie alle anderen Wege akademischer Bildung unsichtbar machen. Ich habe selbst am eigenen Leib erfahren, wie meine Leistungen aus 12 Jahren Schule mit zwei Schulabschlüssen entwertet wurden, weil eben kein „richtiges“ Abitur dabei herauskam. Dies ist einer der Gründe, weshalb ich viel zu lange gezögert habe, ehe ich mich an einer Hochschule einschrieb.

Heutzutage ist der klassische Weg über das Gymnasium nicht mehr der einzige Weg der zum Studium führt. Und ja, es gibt klare Unterschiede zwischen den Zugangswegen. Die allgemeine Hochschulreife, sowie die allgemeine Fachhochschulreife sind als Schulabschluss ganz klar definiert. Wo ist das Problem diese auch ganz klar zu benennen? „Weder hat sie ein Jurastudium absolviert, noch hat sie das dafür notwendige allgemeine Abitur.“ Wäre das denn wirklich so umständlich?

Und wenn es schon schwer fällt, alle anderen „Hochschulreifen“ neben dem klassischen Abitur als solche anzuerkennen, wie sehen wir dann erst alle anderen Schulabschlüsse? Wir müssen uns nicht wundern, wenn Eltern ihre Kinder, komme was wolle, durchs Gymnasium zerren, weil es die einzige Chance zu sein scheint, dass aus ihnen „was“ wird. Genauso wie wir nicht erwarten können, dass Hauptschüler*innen das Beste aus sich herausholen, wenn man ihnen vermittelt, dass sie bereits versagt haben. Oder wenn sich Studierende keine Zeit mehr zum Studieren nehmen, weil sie zu sehr damit beschäftigt sind, ihren Abschluss zu machen – innerhalb der Regelstudienzeit. Ganz zu schweigen von den Menschen, die sich von der Gesellschaft abwenden, weil sie sich abgehängt fühlen.

Wir sollten den Fall Hinz zum Anlass nehmen, unser Verhältnis zu Bildungsabschlüssen und geradlinigen Lebensläufen zu überdenken. Denn Petra Hinz hat nicht nur falsche Angaben über ihre Abschlüsse gemacht, sie hat ihren Lebenslauf an den üblichen Lebensläufen vieler anderer Politiker*innen angepasst. Wir beklagen immer wieder, dass diejenigen die Politik machen und die Rahmenbedingungen unserer Gesellschaft mitgestalten, keine Ahnung vom wahren Leben haben. Gleichzeitig ist der Weg nach „oben“ noch immer überwiegend denen vorbehalten, die sich einen geradlinigen Lebenslauf leisten können. Und als die offene Gesellschaft, die wir sein wollen, müssen wir uns fragen, ob dies in unserem Sinne ist.