Falsche Berufe 

Ich bin eine Frau und habe mich für so einen Beruf entschieden, der mich nicht ohne weiteres reich machen wird. Einen sozialen Beruf, was mit Menschen, berufliche CareArbeit. Damit bin ich mitverantwortlich für den Gender Pay Gap. Und da mich zu dieser Entscheidung niemand gezwungen oder genötigt hat, bin ich auch ganz allein dafür verantwortlich, mit diesem meinem Beruf nicht reich zu werden, ganz allein selbst verantwortlich und habe diese Tatsache auch zu akzeptieren.

Natürlich versichert man mir immer wieder, wie wichtig meine Arbeit ist und wie viel Respekt man davor hat, dass man diese Arbeit zu den belastenden Arbeitsbedingungen und vor allem zu den eher niedrigen Gehältern macht. Also, solange nicht ernsthaft bessere Arbeitsbedingungen und Gehälter gefordert werden, oder gar dafür gestreikt wird. Im #Kita-Streik letztes Jahr (der allerdings nicht nur ein Kita-Streik war) verbreitete sich sehr bald die Überzeugung, dass Erzieherinnen ja eigentlich viel zu viel verdienen würden – vorher gehörten sie zu den schlechtbezahlten Berufe, die man nicht ergreifen sollte, wenn man gut verdienen möchte.

Bei jeder Diskussion um den Gender Pay Gap taucht irgendwann das Argument auf, dass sich Frauen ja für so soziale Berufe entscheiden und deswegen weniger verdienen, als Männer in zum Beispiel technischen Berufen. Gleichzeitig gesteht man diesen sozialen Berufen nicht zu in die eine oder andere Gehaltsklasse aufzusteigen. Warum werden sie denn systematisch abgewertet („Pflegen kann jeder“, „ist doch nur singen und spielen“), während man doch ganz genau weiß, wie notwendig ihre Tätigkeiten für die Gesellschaft sind („Eltern werden in Geiselhaft genommen!“)? 

Ein weiteres Argument, das ich immer wieder in Kommentarspalten lese: „Es kann doch nicht sein, dass eine Sozialarbeiterin mehr verdient als ein Ingenieur!“ Nicht, dass ich Ingenieur*innen ihre Gehälter nicht zugestehe, aber:

Warum eigentlich nicht?

Wo steht geschrieben, dass die Auseinandersetzung mit Technik mehr wert sein muss, als die Auseinandersetzung mit Menschen? Wer sagt, dass das eine unabänderliche Tatsache ist? Wie kommen wir darauf, dass Care Berufe nichts wert sind, obwohl es zwangsläufig Probleme für die Allgemeinheit entstehen, wenn in diesen Berufen die Arbeit niedergelegt wird?

Wir müssen nicht darüber diskutieren, ob der Gender Pay Gap etwas über eine beabsichtigte und direkte Diskriminierung aussagt oder nicht. Aber wir müssen Diskussionen darüber führen, wie wir dieses Gefälle ausgleichen und kompensieren oder vielleicht ganz vermeiden, um Altersarmut zu verhindern. Wir müssen darüber diskutieren, ob wir zu den „falschen Berufen“ wirklich die Tätigkeiten zählen wollen, die für die Gesellschaft unverzichtbar sind und welche Wertigkeit wir ihnen zugestehen. Der abwehrende Verweis darauf, dass Frauen halt beruflich einfach die falschen Entscheidungen treffen, sagt nämlich vor allem eines: „Nicht mein Problem!“

Männer in der Pflege

Anstoß für diesen Beitrag sind Geschlechterdiskussionen in meiner Timeline und die Blogparade „Männer in der Pflege“. Dies ist jetzt nicht wirklich ein Blogparade-Post in dem Sinne. Ich habe mir aus dem was ich so an Diskussionen und Unterhaltungen, sowohl im Internet als auch draußen, so mit bekommen habe ein paar Gedanken gemacht, die heute irgendwie raus mussten. Ja, der Text hat ein bisschen was von einem Rant, aber das hat nichts persönliches mit irgendjemandem zu tun.

UND: (weil es ja immer Leute gibt, die manches falsch verstehen) Ich habe selbstverständlich nichts gegen Männer in der Pflege. Einige meiner besten Freunde sind Männer in der Pflege.

In diesem Text ist hauptsächlich von Männern und Frauen die Rede, weil das Thema in dieser Geschlechterbinarität diskutiert wird.

Pflege gehört ohne Frage zu den sogenannten klassischen Frauenberufen. Mit einem Frauenanteil von 70-80% kann man auch noch immer sagen, dass er sehr weiblich konnotiert ist. Care-Arbeit allgemein wird, beruflich wie privat, auch eher mit Frauen assoziiert. Es ist in unserer Gesellschaft nicht selbstverständlich, dass Männer Kinder großziehen, einen Familienhaushalt führen oder Angehörige pflegen. Daher ist es auch irgendwie nachvollziehbar, dass man sich mit der Rolle von Männern, in diesen sehr weiblich konnotierten Feldern besonders auseinandersetzt. Schon allein, weil Männer bei einem Anteil von 20-30% in der Pflege auch keine Ausnahmen mehr sind.

Aber auch hier ist es eine Frage, wie man sich mit ihnen auseinandersetzt. Markus Lauter erwähnte eine These, die von einer Rednerin auf dem Pflegetag 2015 aufgestellt wurde, nach der Frauen für die Pflege besonders disponiert sind und Männer eher untauglich. Ohne jetzt den Kontext zu kennen: im 21. Jahrhundert sollte sich die Frage, ob Männer an sich in der Lage sind zu pflegen, genauso wenig stellen, wie die Frage, ob Frauen an sich in der Lage sind programmieren. (Zumal in der Antike die Pflege von Kranken als Teil der Arztausbildung tatsächlich eine Männeraufgabe und das Programmieren im Zweiten Weltkrieg eine Frauenaufgabe war) Wenn überhaupt, können wir gern darüber reden, dass Care-Tätigkeiten in unserer Kultur sehr von Frauen geprägt sind und Mädchen daher eher vorgelebt bekommen, sich um andere zu kümmern, als es bei Jungs der Fall ist.

Was mich persönlich immer ein wenig verstört, sind die Unterhaltungen darüber, ob die Zusammenarbeit mit Männern oder mit Frauen „besser“ ist. Warum stellen sich Erwachsene heutzutage überhaupt diese Frage? Natürlich gibt es, wie überall auch, Kolleg*innen mit denen man sich besser versteht und mit denen man besser zusammenarbeitet – aber dazu ist das Geschlecht nun wirklich nicht ausschlaggebend.

Und rein zufällig, kommen diese Unterhaltungen, zumindest die, die ich so mitbekomme, meist immer zu dem Ergebnis, dass es angeblich mit Frauen immer total anstrengend ist, während Männer immer irgendwie „Ruhe“ ins Team bringen, weil sie nicht so „zickig“ sind – zu diesem Ergebnis kommen Männer und Frauen übrigens gleichermaßen. Gut, niemand ist frei von Stereotypen und Klischees, aber versucht doch mal in euren Kolleg*innen die Person zu sehen und nicht derdie Vertreter*in ihres Geschlechts. Vielleicht ist der KollegE ruhiger, weil er an sich ein ruhiger Typ ist? Vielleicht ist die KollegIN ja „zickig“, weil sie im Stress ist? Vielleicht bewerten wir das selbe Verhalten bei Männern und Frauen jeweils anders?

Was ich auch hin und wieder mal lese ist, dass Männer in der Pflege „gebraucht“ werden, weil sich dann die Arbeitsbedingungen verbessern. Schließlich würden Männer viel effizienter gegen diese Missstände vorgehen und außerdem haben die Frauen in der Pflege diese Missstände überhaupt erst so zugelassen (echt jetzt!).

Zunächst einmal sind Männer meiner Meinung nach nur aus einem Grund wirklich „notwendig“ (also im Sinne von für die Pflege von Menschen notwendig): weil Männer geschlechtsspezifische Bedürfnisse von männlichen Pflegebedürftigen besser nachvollziehen und besser auf sie eingehen können.

Die Arbeitsbedingungen zu verbessern kann nicht explizit die Aufgabe von Männern in der Pflege sein. Da halte ich es für wichtiger, Pflegende überhaupt dahingehend zu ermächtigen, sich zu engagieren und gegen Missstände vorzugehen. Und wenn wir irgendwie das Gefühl haben, dass gerade Frauen Hemmungen haben sich zu engagieren, sollten wir uns vielleicht einmal fragen, warum das so ist und dann auch versuchen sie zu empowern.

Es entbehrt dann auch nicht einer gewissen Ironie, wenn dann gleichzeitig bessere Arbeitsbedingungen gefordert werden, um Männern den Pflegeberuf überhaupt schmackhaft zu machen. Nichts gegen bessere Arbeitsbedingungen, ich mag bessere Arbeitsbedingungen. Aber ich will sie nicht, damit mehr Männer in die Pflege kommen. Sondern weil bessere Arbeitsbedingungen unserem Beruf und unserer Arbeit, von der die Gemeinschaft profitiert zustehen. Und weil sie notwendig sind, um Pflegebedürftigen und ihrem Umfeld die Pflege zu ermöglichen, die sie brauchen, weil es ihnen in unserer Solidargemeinschaft zusteht.

Pflege ist keine originäre weibliche Begabung – sie erfordert Kompetenzen, die man erlernen kann und muss. Jeder der diesen Beruf ergreifen will und geeignet ist, soll die Möglichkeit haben ihn zu ergreifen und sich beruflich mit seinen Stärken, Neigungen und Lebensplänen zu verwirklichen können. Und zwar unabhängig von seinemihrem Geschlecht oder anderen Oberflächlichkeiten.

Ich wünsche mir wirklich, dass wir innerhalb unserer Profession Stereotype und Vorurteile hinterfragen und reflektieren. Nicht nur, aber gerade in Bezug auf Geschlechter und sexueller Orientierung. Wie wollen wir individuelle Versorgung leisten, wenn wir die Schubladen in unserem Kopf nicht hinterfragen? Wie wollen wir als Profession solidarisch miteinander sein, wenn wir uns gegenseitig aufgrund von Geschlechterstereotypen definieren und bewerten?

Selbstversuche sind nicht nachhaltig

Am Wochenende trendete #armeleuteessen auf Twitter. Dabei ging es aber nicht um Gerichte, die schon zu früheren Zeiten als „Arme-Leute-Essen“ bezeichnet wurden. Es geht um den Selbstversuch des Magazins Biorama, das herausfinden möchte, wie „bio“ man sich ernähren kann, wenn man vom Existenzminimum lebt.

Prinzipiell ist es keine schlechte Idee, sich Gedanken darüber zu machen, ob und wie gesunde und nachhaltige Lebensweise mit geringstem Einkommen zu vereinbaren sind, welche Möglichkeiten es gibt und wo die Grenzen sind. Geht man ein paar Schritte weiter, finden sich vielleicht auch neue Ideen Armut zu bekämpfen bzw. gesunde Ernährung auch den finanziell Schwächsten in unserer Gesellschaft zu ermöglichen.

Das mit den Selbstversuchen ist aber immer so eine Sache und gerade dieser Punkt wurde auch stärksten diskutiert. Egal in welchem Bereich, ob es jetzt das Leben am Existenzminimum, in Obdachlosigkeit und/oder mit einer Behinderung ist. Als Nichtbetroffener erhält man lediglich einen minimalen Einblick in die Situation der Betroffenen. Der Erfahrungswert wird allzu leicht überschätzt. Es ist einfach was anderes, ob ich mich freiwillig einen Tag mit einem Rollstuhl bewege oder ob ich unter Umständen lebenslang gezwungen bin, mich mit einem Rollstuhl zu fortzubewegen, mit allen Hürden des Alltages.

Mit Armut verhält es sich nicht anderes. Armut ist ein Komplex, dass sich nicht darauf reduzieren lässt, wenig bzw. keine finanzielle Mittel zur Verfügung zu haben. Es ist zu kurzsichtig gedacht, den Aspekt „Essen“ unabhängig von diesem Spektrum und nur in Bezug auf „wenig Geld“ zu untersuchen. Geschweige denn anhand des feststehenden Betrages, der in der Mindestsicherung rechnerisch für Essen vorgesehen ist. Denn Menschen, die von einer Mindestsicherung leben, sind genau wie alle anderen von ungeplanten zusätzlichen Ausgaben betroffen und oft ist das Essensbudget das einzige, wo Einsparungen möglich sind.

Auch das Essen lässt ist nicht einfach nur biologisch auf „Nahrungsaufnahme“ zu reduzieren. Essen und Trinken haben viel mit Tradition, Weltanschauungen und Wohlbefinden zu tun. Essen hat eine sehr große soziale Komponente und gerade das seelische Wohlbefinden hat einen großen Einfluss auf das Ernährungsverhalten. Es ist nicht schwer die Verbindung zwischen Essen und dem Leben mit Existenzängsten und Stigmatisierung herzustellen, unabhängig davon ob vielleicht noch ein paar Euro für Bio-Lebensmittel übrig sind oder nicht.

Und ganz abgesehen davon, dass Lebenssituationen wie Armut sehr komplex und weitreichend sind: Warum ist es überhaupt notwendig, sich im Rahmen eines Selbstversuchs einen Einblick in diese Lebenssituationen zu verschaffen, wenn es doch genügend Menschen gibt, die mit diesen Lebenssituationen auch tatsächlich leben? Warum greift man nicht auf deren Erfahrungsschatz zurück, gibt ihnen den Raum darüber zu sprechen und nimmt sie dabei auch als Experten ihrer Lebenslage ernst?

Zum Abschluss habe ich für euch ein paar empfehlenswerte Links zum Thema:
Vom Luxus über #armeleuteessen zu fantasieren
Die Verachtung der Armen
Prolls, Assis, Schmarotzer – Warum unsere Gesellschaft die Armen verachtet (ein etwas längerer Podcast, aber er lohnt sich!)